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 November 2020, Deutschland. Alle Rechte vorbehalten.

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Wir sind kurz vor dem Haus der Familie Funkenblitz. Das ist der Familienname von Anna, Norbert und Luise, ihrer verstorbenen Mutter. Zur Überraschung aller ging sie im Alter von achtunddreißig Jahren von uns. Im sechsten Monat einer Schwangerschaft kam es zu dem tragischen Ereignis: eine schwere Fehlgeburt. Diesen Tag werde ich nie vergessen.
Ich war damals zwölf Jahre alt und setzte mich zum ersten Mal mit dem Thema Sterben auseinander. Laut den Erzählungen meiner Mutter kommt man nach seinem Tod in eines der sechs Götterreiche. Es hängt davon ab, wie man sich zu Lebzeiten verhalten hat.
Das Leben ist für alle Wesen in der Welt eine Prüfung. Diejenigen, die immer aufrichtig, selbstlos und hilfsbereit sind, kommen in das Reich von Stellux, dem Lichtgott. Finstere, gewalttätige und bösartige Gestalten gehen in das Reich von Goldark, dem Todesgott. Egoistische, aufbrausende und selbstsüchtige Personen landen im Reich von Meltana, der Feuergöttin. Der Erdgott Anaragai erhält alle gelassenen und ausgeglichenen Lebewesen sowie die, die sich für die Natur einsetzen. Die Wassergöttin Laquine nimmt die Wissbegierigen, Manipulativen und jene, die ihr Leben dem Meer und der See gewidmet haben. Vales ist der Donnergott und Vis der Windgott. Zusammen regieren sie über das letzte Reich und erhalten die Zukunftsweisenden sowie die vom Himmel Begeisterten.
Die Tatsache, dass das Leben eine Prüfung ist, veränderte meine Einstellung. Ich stellte mir die Frage: »In welches Reich möchte ich nach dem Leben?« Mutter erstrebt das Reich von Stellux. Auch ich entschied mich damals für diesen Pfad. Seitdem achte ich mehr darauf, aufrichtig und hilfsbereit zu allem und jedem zu sein.
»Siehst du das Noel?«, macht mich Vater aufmerksam. »Die Tür des Hauses ist bereits offen. Sie ist nur leicht angelehnt.«
»Ob etwas passiert ist?«
»Ach, das glaube ich nicht. Wir gehen vorsichtig hinein. Vielleicht haben sie die Tür nicht richtig geschlossen, oder sind kurz außer Haus.«
Langsam öffnet mein Vater die Tür und ruft: »Norbert? Anna? Seid ihr zuhause? Hallo?«
Gemeinsam lauschen wir auf eine Reaktion. Nichts. Das einzige Geräusch, das man hört, ist die handgeschmiedete Wanduhr von Norbert. Klick. Klack. Klick. Klack - ein nerviger Ton. Jedes Mal, wenn ich bei Anna übernachte, ist es eine Qual. Sie sagt immer, dass man sich daran gewöhnt, aber so weit ist es bei mir noch nicht. Da Norbert diese Uhr damals Luise zum Geburtstag geschenkt hat, wird sie leider unter keinen Umständen abgehangen.
Ich schaue mich um. Der einst verzaubernde Ort ist heutzutage nur noch staubig und trist. Norbert kümmert sich nicht viel um das gemeinsame Heim. Das war immer Luises Aufgabe. Nun verzieren Schwerter und Äxte diesen Ort.
Ein beißender Geruch dringt mir in die Nase. Er kommt von dem mit Ruß bedecktem metallischen Esstisch, der als Ablage für eine Vielzahl von Schmiedewerkzeug genutzt wird.
»Buh!«, erklingt eine Stimme plötzlich hinter uns. »Wir sind auf dem Schmiedehof. Papa zeigt Valan gerade seine neuesten Kreationen.«
Es ist Anna! Mit ihrem roten, schulterlangen Haar und ein paar Sommersprossen im Gesicht steht sie an der Eingangstür. Ihr schlanker, blasser Körper wird ummantelt von einem bunten Sommerkleid. Das ist ihr Lieblingskleid. Luise hat es ihr damals genäht und Blumen aus Stoff in unterschiedlichen Farben auf den sonst blauen Grundton angebracht.
»Anna! Wir dachten schon, euch wäre etwas zugestoßen. Die Tür war noch geöffnet!«
»Aaaach Quatsch!« Sie bricht in ein Gelächter aus. »Was soll einem an diesem langweiligen Ort schon zustoßen?«
»Genauso ist es«, wirft Vater ein. »Hier im Dorf ist es sicher und im Wald lauern unzählige Gefahren, denen wir besser nicht begegnen.«
»Laaaangweilig, Herr Forstschlag.« Anna reagiert mit einer gähnenden Geste. »Ich kenne die Dörfer auswendig. Die Welt da draußen wartet darauf, von mir erforscht und verstanden zu werden.«
»Noch so jemand! Ihr zwei habt euch wirklich gefunden. Lasst uns zur Schmiede aufbrechen.«
Der Weg ist kurz. Es dauert nicht lang, bis wir den Klang des Hammers hören, der mit voller Wucht auf das heiße Eisen donnert. Aber es ist nicht das einzige Geräusch, das ich wahrnehme. Norbert und Valan sind in ein Gespräch vertieft.
»Ich kann ohne weiteres Material meiner Arbeit nicht mehr lange nachgehen, Valan! Wir müssen hier dringend etwas unternehmen.«
»Das ist mir bewusst. Aber wir werden uns unter keinen Umständen auf den Handel einlassen. Das würde alles zerstören, was wir aufgebaut haben!«
Die nächsten Worte verstehe ich nicht mehr. Es scheint, als hätten sie angefangen zu flüstern.
Mein Vater winkt ihnen zu und ruft: »Norbert! Valan! Schön euch zu sehen! Ich bringe Noel, wie besprochen, vorbei, damit er sich zusammen mit Anna von Hannelore verabschieden kann.«
»Lars! Gut, dass du da bist! Wir müssen dringend etwas besprechen!«, erwidert Norbert. Er taucht das glühende Eisen in eine nahegelegene Wasserstelle und nach einem scharfen Zischen legt er es zusammen mit seinem Werkzeug beiseite.
»Lasst uns dafür in mein Haus gehen«, schlägt Valan vor und richtet seinen Blick auf mich und Anna. »Die Kinder sollten nicht dabei sein.«
»Anna, Hannelore befindet sich im Stall«, spricht Norbert seine Tochter an.
»Jaja, Papa, ich habe schon verstanden.« Sie schenkt ihm ein Augenrollen und schaut zu mir. »Wir sollen verschwinden. Komm Noel! Wir gehen Hannelore besuchen und genießen den Tag!«
Sie dreht sich um und macht mit ihrer Hand eine Geste, dass ich ihr folgen soll. Dann verlassen wir den Schmiedehof. Ich denke über das gerade Gesprochene nach. Was meinte Valan damit, dass der Handel alles zerstören würde? Und mit wem handeln sie? Mit anderen Menschen?
»Hast du das Gespräch von deinem Vater auch gehört?«
»Jap! Na klar.«
»Hat dich das nicht neugierig gemacht? Du bist doch sonst immer so interessiert. Worüber haben sie geredet?«
»Mein Vater bekommt kein neues Eisen und keine neue Kohle mehr«, sagt sie und dreht sich zu mir. »Er wirkt deswegen die ganzen letzten Tage schon leicht beunruhigt. Mehr habe ich nicht aus ihm rausbekommen. Aber sollten wir wirklich kein Material mehr bekommen, woher auch immer es kommt, dann kann mein Vater nicht mehr arbeiten.« Anna schaut bedrückt zu Boden.
»Ich verstehe einfach nicht, warum sie es uns nicht sagen. Ich habe keine Lust mehr, zwei Jahre zu warten!« Verärgerte trete ich ein paar Steine vor mir her.
»Ach Noel, lass es gut sein! Sie werden es uns nie sagen! Das haben wir doch schon oft genug probiert. Wir finden es einfach selbst heraus! Ich sehe es schon vor mir: Noel und Anna erkunden die Welt. Unser persönliches Abenteuer!«
Ich bin fasziniert, wie entspannt sie das Ganze aufnimmt. Es wirkt immer so, als würde sie negative Situationen mit einer positiven Stimmung überschreiben. Diese Eigenschaft ist seit dem Tod ihrer Mutter Luise ausgeprägter. Nicht auszumalen, was passiert, wenn sie einmal nicht da ist, um mich aufzumuntern.
»Bei Stellux, du hast Recht! Also wagen wir uns gleich noch mal auf den Valan-Pfad?«
»Jawohl, Herr Entdecker, aber zuerst kümmern wir uns um unsere Hannelore. Wollen wir sie mitnehmen? Wir verhelfen ihr zur Flucht!« Sie streckt ihren Finger in die Luft.
»Du willst sie freilassen? Aber dann haben wir doch nicht genug zu Essen und bekommen großen Ärger!«
»Hannelore ist so klein. Das ist kein Unterschied. Wir erzählen einfach, dass sie uns weggelaufen ist.«
»Anna! Unsere Eltern werden sehr sauer sein! Ich will mir gar nicht ausmalen, welche Vorträge mir Vater dann hält.«
»Ach, komm schon! Was sind ein paar Vorträge und streitsüchtige Väter im Vergleich zum Erhalt eines Tierlebens. Das ist bestimmt im Sinne von Stellux, oder?«
Sie nutzt gerne meinen Glauben aus, um mich zu überzeugen. Leider hat sie nahezu immer recht. Ich stimme ihr zu und wir holen Hannelore aus dem Stall.
Das kleine Azurosa-Weibchen hat ein rosa Federkleid und winzige blaue Federn am Kopf und Hinterteil. Sie ist aber nicht in der Lage zu fliegen. Dafür sind ihre Flügel zu klein und ihr gelber Schnabel zu groß.
Nach einer kurzen Begrüßung hebt Anna Hannelore hoch und wir bewegen uns am Rand des Dorfes entlang, um nicht von den Erwachsenen gesehen zu werden. Dort sind viele Sträucher und Büsche, in denen wir uns verstecken. Ich bin zuversichtlich. Uns erwartet eine große Entdeckung.

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