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Befreiung

Ein Kapitel aus dem Buch

 November 2020, Deutschland. Alle Rechte vorbehalten.

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Es ist jetzt Nachmittag und wir sind aus Istal zurückgekehrt. Auf dem Rückweg war der Karren nicht leichter. Ich hatte Mühe und Not, den Wagen durchgehend in Bewegung zu halten. Dazu kam, dass Vater andauernd über seine Vorbereitungen für das Dorffest geredet hat. Anna hat es zum Glück die meiste Zeit mit ihrem Gesang übertönt. Sie summte alte Familienlieder ihrer Mutter. Manchmal war es fast so, als würde ich Luise selbst neben mir singen hören.
»Das waren alle, mein Sohn.« Vater schmeißt den letzten Sack in den Lagerraum des Wirtshauses und reibt sich die Hände. »Da haben wir hervorragende Arbeit für die Dorfgemeinschaft geleistet.«
»Meine Gebete wurden letzten Endes doch erhört.« Ich sinke erschöpft zu Boden.
»Stell dich nicht an. So anstrengend war es nun auch nicht. Außerdem habe ich mit dir noch ein paar andere Sachen vor. Wir müssen die Garnitur für das Dorffest aufstellen. Anschließend können wir im Wirtshaus mithelfen, bis die Feier beginnt. Schließlich ist es nicht mehr so lange hin.«
»Haaaaalt!« Anna unterbricht die verbale Folter meines Vaters. »Ich fürchte, da muss ich widersprechen, Herr Forstschlag! Ich muss mir Noel leider ausleihen. Der Strauß für meine Mutter und die anderen Verstorbenen ist noch nicht fertig. Die zugehörigen Materialen befinden sich am Rand des Dorfes. Und da wollen sie mich doch nicht alleine suchen lassen? Bei den ganzen Wölfen und Ignaeria heutzutage?«
»Noel soll also deinen Beschützer spielen? Wie genau soll er das anstellen?« Vater greift meine zerzauste Haarpracht und wuschelt sie durch. Ich weiche genervt zurück. Er hat wohl noch immer nicht verstanden, dass ich kein kleiner Junge mehr bin.
»Kann er nicht?« Anna neigt ihren Kopf zur Seite. »Das wundert mich. Ich dachte, er sei jetzt ein wahrer Forstschlag. Wer ist also besser dazu geeignet?« Anna ist faszinierend. Das ist ein Punkt für sie.
Vater räuspert sich, schaut zu mir rüber und sagt: »Naja. Natürlich ist er das! Er ist schließlich mein Sohn! Und ich habe ihn schon das ein oder andere über den Kampf gelehrt.« Er kommt auf mich zu und zieht ein Messer samt Halterung aus seinem Gürtel. »Hier, mein Sohn! Nimm es! Für den Notfall. Norbert hat es gestern erst neu für mich geschliffen. Dieses Messer heißt Mark. Es ist mit dem Holz aus dem ersten Baum entstanden, den dein Urgroßvater einst gefällt hat. Ein Familienerbstück. Sei also bitte vorsichtig.« Er bindet die Halterung an meinen Gürtel und sieht mir tief in die Augen. Er lächelt. »Anna hat recht. Du bist ein wahrer Forstschlag. Zwar noch ein ungeschliffener Stamm, aber hey! Das wird schon noch mit der Zeit.« Er klopft auf meinen Rücken und schenkt mir mit seinen kräftigen Armen eine Umarmung. »Ich hab dich lieb, mein Sohn. Wir sind zwar nicht immer einer Meinung aber ich bin stolz auf dich.«
Diese Geste habe ich nicht erwartet. Es ist nur ein Augenblick mit ihm und doch bedeutet er mir mehr als die Zeit der ganzen letzten Wochen. Meine Augen sind glasig.
»Genug der Gefühlsduselei. Jetzt hau schon ab.« Er schubst mich zu Anna.
Doch ich kann das Gespräch so nicht enden lassen. Es fühlt sich falsch an, seine Worte nicht zu erwidern. »Vater, ich – «
»Lass gut sein, mein Sohn.« Er zwinkert mir zu. »Du willst deine Freundin doch nicht warten lassen? Sie braucht deine Hilfe. Einen wahren Forstschlag. Einen Mann.« Er lässt seine Muskeln spielen. »Alles andere verschieben wir auf später.«
Ich stimme widerwillig zu.
»Achja, und noch etwas.« Vater ergreift abermals das Wort. »Geht nicht wieder in den Wald oder treibt sonst irgendeinen Unsinn! Ich will euch pünktlich zum Fest auf dem Dorfplatz sehen! Verstanden?«
»Natürlich, Herr Forstschlag! Sowas würden wir nie tun!« Anna rollt mit den Augen und lächelt zu mir hinüber. »Außer gestern.«
»Ich meine es ernst!«
Gemeinsam verlassen Anna und ich das Wirtshaus und brechen auf. Ich bin froh, dass sie geantwortet hat. Wenn man bedenkt, was wir gleich vorhaben, hätte ich Vater nicht anlügen können. Erst recht nicht, nach seinem Verhalten gerade eben.
»Siehst du.« Anna zwinkert mir zu. »War doch gar kein Problem. Gab sogar noch ein schickes Messer. Jetzt bist du ein waaahrer Forstschlag. Ein Mann.« Ihre Stimme wird tief und spöttisch.
»Hey! Hör auf! Vater war im Gegensatz zu sonst mal echt nett.«
»Das stimmt. Ich muss zugeben, ich war überrascht. Dein Vater hat sonst die emotionale Tiefe eines Steines.«
Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Da hat sie recht. Meist dreht sich alles um Valan in seinem Kopf. Er will schließlich das nächste Dorfoberhaupt werden. Aber dafür muss er unbedingt seine Wut und seine Sturheit in den Griff bekommen. Das sind keine Merkmale für einen Anführer.
»Also dann! Wie machen wir es?« Mein Adrenalin steigt schon bei dem Gedanken, was wir gleich vorhaben. »Meinst du Valan selbst hat den Schlüssel für das Verlies?«
»Ich befürchte es! Er mag alt sein, ist aber noch lange nicht so leicht zu überlisten wie dein Vater. Wir sollten zuerst Torwald zur Rede stellen. Ich will wissen, was es mit dem Galvanna-Spion auf sich hat!«
»Meinst du, wir kommen in das Verlies hinein? Was, wenn eine Wache aufgestellt wurde?«
»Das halte ich für unwahrscheinlich. Sie müssen alle das Fest vorbereiten. Immerhin muss in einigen Stunden alles bereit sein, wenn die Bewohner von Istal und Sunas dazustoßen. Ich lege die Blumen solange hier vorne ab.« Sie packt den Strauß hinter ein kleines Steinkonstrukt am Wegesrand. »Hier sind sie vor dem Wind geschützt.«
Wenige Momente später erreichen wir unseren Zielort.
»Der Eingang zum Verlies ist direkt auf der Rückseite der Kirche.« Anna deutet auf eine Treppe. »Vater ist ab und zu mal mit mir dort hinab gegangen, um die Gitterstäbe und andere metallische Gegenstände von Rost und Dreck zu befreien. Ich glaube, es ist das erste Mal, dass dieses Verlies überhaupt in Verwendung ist.«
»Ich war noch nie dort unten. Ehrlich gesagt habe ich verdrängt, dass es so eine Einrichtung überhaupt in unserem Dorf gibt.«
»Ja, es ist sowieso ungewöhnlich, dass wir so etwas gebaut haben. Es ist ein deutliches Zeichen, dass wir nicht die einzigen Menschen auf dieser Welt sind. Ich verstehe nur nicht, warum unsere Eltern so eine Geheimnis daraus machen. Wir müssen Torwald unbedingt befreien und endlich aus diesem Wald raus. Ich will es mit eigenen Augen sehen.«
Ich stimme ihr zu und wir steigen die Treppe hinab in das Verlies. Ein von Fackeln erhellter Korridor erstreckt sich vor uns. Der Boden und die Wände sind aus Stein und an den Seiten werden kleine Zellen durch Eisengitter versperrt. Es dauert nicht lang, bis uns ein verbrannter Geruch in die Nase weht. Die Luft ist stickig und ein säuerlicher Geschmack liegt mir auf der Zunge. Ich huste. »Das stinkt grauenvoll und ich kann kaum atmen. Wie können sie Torwald hier nur einsperren? Das ist nicht richtig!«
»Pech und Kohlenstoffdioxid.« Anna deutet auf ein kleines Becken mit schwarzer Masse. »Das Pech wird für die Fackeln benötigt, wie du sicherlich weißt. Das Kohlenstoffdioxid ensteht durch die Vebrennung. Dafür sind die Öffnungen dort oben.«
Sie zeigt auf die Löcher an den Seitenwänden. Ein Schimmer des Sonnenlichts scheint hindurch.
»Ohne diese Luftzufuhr überlebt hier kein Mensch. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann entsteht bei der Verbennung mit zu wenig Sauerstoff ein giftiges Gas.«
»Zwei Fragen dazu: Gibt es etwas, dass nicht in deinen Büchern steht? Und wer, bei Stellux, hat diese ganzen Dinge aufgeschrieben. Ich wüsste niemanden im Dorf, der dazu in der Lage ist. Die Bücher stammen sicher nicht aus unserer Gemeinschaft.«
»Das sehe ich auch so! Frau Hammelblatt hat immer gesagt, es sind Überlieferungen unserer Vorfahren. Aber manche Informationen wirken viel fortschrittlicher, als das Dorf selbst. Genauso wie mit der Technik des Wasserspeichers an jedem Haus. Eine Sache steht nebenbei nicht in meinen Büchern. Galvanna! Was ist Galvanna?«
»Eure Neugierde ist wirklich hartnäckig.« Eine vertraute, tiefe Stimme erklingt aus dem hinteren Teil des Korridors. »Wenn ihr mich befreit, erzähle ich euch vielleicht, was es mit Galvanna auf sich hat.«
Wir nähern uns der zugehörigen Zelle und sehen Torwald geschwächt in einer Ecke liegen. Neben ihm liegt ein Behälter Wasser und eine halb verspeiste, mit Dreck besudelte Mahlzeit.
»Hmm.« Anna hält ihre Hand nachdenklich an ihr Kinn. »Wie wäre es, wenn du es uns jetzt erzählst? Schließlich kommst du ohne unsere Hilfe hier sowieso nicht heraus.«
Torwald erhebt sich mit aller Kraft und Mühe vom Boden. Er nähert sich dem Gitter und sagt: »Wie ihr meint, aber ihr müsst mir versprechen, dass ihr danach alles versucht, um mich hier aus diesem Verlies zu holen.«
»Wenn es nur das ist.« Anna winkt ab und rollt mit den Augen. »Dafür sind wir eh schon hergekommen.«
»Ok, ich vertraue euch, Kinder.« Der Jäger lehnt sich mit einer Hand an die Wand. »Nika wurde vor einiger Zeit von jemandem gejagt. Man wollten sie töten, für das was sie ist – eine Walddryade. Ich fand sie schwer verwundet und erschöpft hier im Wald. Ich wollte sie retten, doch es war zu spät. Galvanna kam uns zuvor. Als Austausch für Nikas Sicherheit, ging ich mit ihnen einen Handel ein. Ich sollte ihnen alles über unser Dorf erzählen. Mir blieb keine andere Wahl, Kinder. Als ich Nika sah, fühlte ich etwas, dass ich so noch nie zuvor empfunden habe. Ich ...«
»Warte, Warte, Warte!« Ich blicke Torwald tief in die Augen. »Bei Stellux, das heißt, es gibt wirklich andere Menschen dort draußen? Galvanna ist ein weiteres Dorf?«
Torwald seufzt lautstark vor sich. »So kann man es sehen. Aber es ist nicht so wie unsere Dörfer.«
»Es ist ein fortschrittlicheres Dorf, oder?«, fragt Anna. Sie hat geradezu ein Funkeln in den Augen. »Kommen diese ganzen Dinge aus unserem Dorf von dort?«
Torwald nickt geschwächt. Es ist ihm anzusehen, dass er an seinen Kraftreserven zehrt.
»Kinder, es ist wichtig, dass ich dringend aus dem Verlies komme. Ich befürchte, ich habe einen Fehler gemacht und das ganze Dorf ist vielleicht in Gefahr. Ihr müsst umgehend zu Nika gehen. Sie wird wissen, was zu tun ist, bitte!«
»Das Dorf ist in Gefahr? Warum?« Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. »Durch wen? Galvanna etwa?«
Bevor Torwald auf meine Frage reagiert, hören wir Stimmen aus dem Treppenbereich.
»Versteckt euch und verschwindet dann von hier!«, flüstert Torwald. »Findet Nika! Sie ist bei den Wölfen und die Einzige, die noch schnell genug etwas unternehmen kann.«
Anna und ich stimmen zu und wir verstecken uns hinter einer Schale voller Holzteer. Auch Hannelore tapst uns zielstrebig hinterher, um den Fremden zu entgehen.
Zwei Erwachsene aus dem Dorf treten in den Korridor. Einer von beiden ergreift das Wort. »Torwald. Wie ist das Verräterleben so? Ich habe gute Neuigkeiten für dich. Valan hat mir die Erlaubnis gegeben, morgen höchstpersönlich nach deiner kleinen Dryadenfreundin zu suchen. Es wird mir eine Freude sein, sie ein wenig zu stutzen.«
Es folgt ein finsteres Lachen. Im nächsten Moment klopft mir Anna auf die Schulter. Sie hat Hannelore auf dem Arm und signalisiert ein ›jetzt‹. Wir eilen gemeinsam zur Treppe. Schritt für Schritt gelangen wir nach oben. Glück gehabt! Die Männer haben uns nicht bemerkt. Wir sind draußen.
»Bei Stellux, warum kommen wir in letzter Zeit immer in so brenzlige Situationen?« Mein Herz pocht vor Aufregung.
»Wer viel erreichen will, muss viel riskieren«, antwortet Anna. »Steht auch in einem meiner Bücher.«
»Was auch sonst.«
Sie grinst und lässt sich mit Hannelore auf das Gras fallen. »Galvanna, es stimmt also wirklich. Es gibt Menschen außerhalb des Dorfes. Dazu kommt, dass sie fortschrittlicher sind als wir! Ich muss sie unbedingt kennenlernen.«
»Ähm, dir ist bewusst, was Torwald gerade über Galvanna gesagt hat? Sie sind gefährlich. Eine Gefahr für unser Dorf!«
»Ja, ich weiß schon! Aber wieso nur? Warum gehören sie nicht zur Gemeinschaft wie Sunas und Istal? Was wollen sie von uns? Es ist zum verrückt werden. Jede Antwort wirft zwei neue Fragen auf. Verdammt! Wir müssen unbedingt zu Nika und den Wölfen! Und das alles noch vor dem Dorffest!«
»Das stimmt.« Ich reiche ihr die Hand. »Worauf warten wir dann noch?«

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