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 November 2020, Deutschland. Alle Rechte vorbehalten.

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Es ist später Nachmittag und wir sind schon eine Weile auf dem Mastar-Pfad. Die Wegekreuzung haben wir hinter uns gelassen. Der Weg ist alt und von Pflanzen überwuchert. Ein längst vergessenes Konstrukt. Umso tiefer wir ihn beschreiten, desto weniger Leben ist zu sehen. Das vorherige Grün ist verwelkt, die Blätter zerfallen bei der kleinsten Berührung und der Boden, mit seinen alten Steinplatten in der Erde, ist rau und trocken. Der Aasgeruch dringt einem tief in die Nase.
»Sieh doch, Noel! Dort ist der Rauch!« Anna deutet auf eine Nebelwand in der Ferne.
»Warum ist er orange gefärbt?«
»Gute Frage! Das würde ich auch gern wissen. Normaler Rauch sollte immer eine dunkle, gräuliche Färbung haben. Dieser wirkt schädlicher. Wir können nur hoffen, dass diese Blume als Schutz funktioniert.« Anna hat die blaue Blüte wie die Luisine zuvor in ihr Haar gesteckt hat.
Sie stehen ihr. Ich könnte es ihr sagen. Wer weiß, ob ich sonst noch mal dazu komme? Bei Stellux, das ist mit Abstand das größte und gefährlichste Abenteuer, auf das wir uns je eingelassen haben. Ich hab ein ganz mulmiges Gefühl bei der Sache.
»Noel! Du träumst doch schon wieder! Wir müssen uns jetzt vollkommen konzentrieren! Wer weiß hinter welcher Ecke dieser Ignaeria lauert.«
»Entschuldigung! Du hast recht!«
Ich vermeide gern eine Begegnung mit diesem Wesen. Andererseits gibt es tief in mir diesen Drang. Er kann es kaum erwarten, die Kreatur zu sehen.
Wir sind jetzt wenige Meter vor dem Rauch. Er versperrt uns die komplette Sicht. Ich starre überwältigt nach oben. Die orangene Wand reicht bis zu den Baumkronen. »In diesem Rauch sind also die Mastar-Ruinen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich vor Begeisterung freue, oder vor Angst erstarre, weil ich nicht sehe, welche furchteinflößende Bestie sich dahinter verbirgt.«
»Der Ignaeria.« Anna schluckt schwer. »Bei all meinem Wissensdurst verzichte ich auch gerne auf eine nähere Begegnung.« Sie dreht sich zu mir um und lächelt. »Aber wir sind Entdecker. Solche Orte sind wie geschaffen für uns! Nicht wahr, Noel?«
Ich liebe diese Ausstrahlung. Meine Mundwinkel ziehen sich unkontrolliert nach oben.
»Legen wir los?«, erwidere ich.
Anna atmet tief durch und nimmt Hannelore auf den Arm. »Natürlich!«
Mein Herz pocht. Wir bewegen uns langsam auf die Wand aus Rauch zu. Kurz davor weicht die wolkige Masse uns aus. Je mehr wir eindringen, desto mehr Rauch schwindet. Es ist, als meide er uns.
»Das muss das Werk der blauen Blume sein! Wie ist das nur möglich? Das ist also Magie?« Anna bewegt sich hastig hin und her und beobachtet dabei die flinke Veränderung unserer Umgebung.
»Ich kann es mir nicht anders erklären.«
Der Boden unter uns ist nur noch eine tote, harte Masse. Die Steine, die teilweise aus ihm herausstehen, haben alle kleine Löcher. Als wenn jemand mit einem spitzen Gegenstand in ihnen herumgestochert hat.
Wir bewegen uns weiter in die Tiefen. Es herrscht eine bedrückende Stille. Die Geräusche des Waldes sind verschwunden. Nur unsere Atmung ist zu hören.
»Meinst du, wir sind noch auf dem richtigen Weg?«, flüstere ich.
In diesem Moment erscheint eine alte, durchlöcherte Steinwand vor uns.
»Sieht ganz danach aus.« Anna berührt das kalte, raue Gestein und folgt ihrem Weg. »Jetzt müssen wir nur noch einen Eingang finden.«
Nach einiger Zeit schaut sie hinauf und beobachtet die orangene Decke über uns. »Findest du es nicht komisch, dass der Rauch so dicht ist? Es ist, als ob er nicht in den Himmel aufsteigen kann.«
»Jetzt, da du es erwähnst. Das ist wirklich ungewöhnlich.«
»Er scheint in diesem Ort eingesperrt zu sein. Ob das auch etwas mit Magie zu tun hat?«
»Gut möglich.«
Im nächsten Augenblick bleibe ich schlagartig stehen. Anna reagiert zu spät und rempelt mich an. Ich schaffe es gerade noch rechtzeitig, mein Gleichgewicht zu halten.
»Man! Auaaa! Warum hälst du einfach an?«, flucht Anna lautstark.
»Psst!« Ich zeige auf riesige, rotbraune Gesteinsbrocken vor uns.
»Was ist das denn?« Anna huscht an mir vorbei, doch ich halte sie am Arm fest.
»Warte! Ich dachte zuerst, es wäre nur Stein, aber sieh mal genauer hin. Sind das nicht Zähne?«
»Zähne?« Sie reißt sich von meiner Hand los. Je näher sie kommt, desto mehr wird vom Rauch freigelegt. »Oooh! Du hast recht!« Sie flüstert. »Ist das etwa der Ignaeria?«
Ich zucke mit den Achseln. Ohne ein Wort zu sagen, bewegen wir uns vorsichtig weiter an der Mauer entlang. Dabei lassen wir nicht eine Sekunde dieses Ding aus den Augen. Die Zähne sind jetzt deutlich erkennbar. Sie sind so riesig, dass ich nur erahnen kann, wie groß der Rest der Bestie ist. Sowas habe ich noch nie gesehen. Es muss der Ignaeria sein.
»Er scheint zu schlafen, oder?«, flüstere ich. »Bitte sag mir, dass er schläft.«
»Seine Haut wirkt wie Stein! Ich habe noch nie von einem solchen Tier gelesen. Von was er sich wohl ernährt? Braucht er überhaupt Nahrung? Wie atmet er in diesem Rauch? Woher bezieht er seine Energie?« Die Neugierde ist ihr ins Gesicht geschrieben.
»Ich hoffe, er brauch ganz viel Schlaf.«
Immer mehr wird von der Kreatur sichtbar. Ich sehe jetzt deutlich eine Kopfform. Sie ähnelt der eines Reptils. »Er hat keine Augen. Nika meinte doch, er kann uns nicht erkennen. Vielleicht sieht er mit Magie?«
»Das kann durchaus sein.« Anna deutet auf zwei Steinspitzen, die aus dem Kopf hervorragen. »Aber er hat Ohren. Wir sollten leise sein!«
Doch dann entdecken wir einen Riss in der Mauer. Er ist breit genug, um als Durchgang zu dienen.
»Schnell! Hier hindurch!« Anna eilt mit Hannelore voraus. Mit jedem Meter den ich mich von dieser Bestie entferne, wächst die Erleichterung in meinem Körper an. Als wir weit genug entfernt sind, halten wir an. »Puh! Zum Glück hat er geschlafen.« Ich atme entspannt aus. »So faszinierend er auch ist, wach möchte ich ihn nicht aus nächster Nähe erleben. Diese Zähne hätten uns im Handumdrehen zerfleischt.«
»Wir haben nicht einmal das Ende des Körpers gesehen!« Anna lacht.
»Was ist so lustig?«
»Es war aufregend! Alles ist so anders, als der Alltag im Dorf. Zwar riskant, aber irgendwie habe ich mich genau nach diesem Nervenkitzel gesehnt.«
Sie sieht glücklich aus. Ihre Freude ist mal wieder ansteckend. Für einen Moment vergessen wir, warum wir hier sind und lachen einfach.
Wir lachen so lange, bis uns Hannelore auf einmal ablenkt. Sie gackert aufgeregt und pickt etwas vom Boden auf. Nach und nach verfolgt sie eine Route, die nur durch den Rauch aufgehalten wird.
»Was frisst du da, Hannelore?« Anna nähert sich ihrer tierischen Freundin.
Das Azurosa-Weibchen nutzt den Moment, als sich, durch die Bewegung von Anna, der Rauch verschiebt. Überall auf dem kahlen Boden, liegen kleine, gelbliche Samenkörner.
»Wo führt uns Hannelore bloß hin? Ist das noch der richtige Weg?«, frage ich.
»Ich habe ein gutes Gefühl. Interessant ist, dass die Samen den Rauch überdauert haben. Es leben hier keine Tiere, die sie fressen können und der Boden ist vermutlich nährstofflos. Dadurch können sie auch nicht gedeihen.«
Wir folgen Hannelore einige Zeit. Alle paar Meter deckt der Rauch alte Ruinen auf.
»Ob diese Steinkonstrukte einmal Häuser waren? Wer hat hier wohl gelebt?«, frage ich.
»Bestimmt. Aber der Stil ist ein ganz anderer, als bei uns im Dorf. Ich habe in einem meiner Bücher schon von Häusern aus Stein gelesen. Dort hat man kleine Steinblöcke gestapelt, miteinander verbunden und so die Hauswände geformt.«
»Häuser aus Stein. Es kommt mir vor, als hätte ich so etwas schon einmal gesehen. Warum sind eigentlich unsere Dörfer nicht aus Stein?«
»Das habe ich Vater auch gefragt. Er hat gesagt, dass es zu aufwändig gewesen wäre. Die Steine würden aus den Bergen kommen und man bräuche eine Masse, um die Steine miteinander zu verbinden. Durch das angenehme Klima bei uns im Wald seien Häuser aus Holz vollkommen ausreichend.« Anna bewegt sich auf eine der Ruinen zu. »Diese Steine sind anders. Es sind keine einzelnen Steinblöcke. Sie wirken eher, als hätte man sie geformt. Aber dafür sind sie normalerweise viel zu fest und unbeweglich.«
»Magie?«
»Wenn das wirklich auch Magie war, bin ich noch mehr interessiert, alles über diese unbekannte Kraft zu erfahren. Wenn wir die Phiole haben und Torwald gerettet ist, muss mir Nika alles darüber erzählen.«
Wir führen unsere Suche fort. Nach einigen Schritten erreichen wir eine große Steintreppe. An den Seiten sind Steinsäulen und auf ihnen sind Statuen von weiblichen Körpern in unterschiedlichen Positionen. Eine trinkt aus einer Schale. Eine andere streichelt einen Wolf. Oben angekommen sind zwei weitere. Sie sind umringt von Dornenranken, die einen Bogen über der Treppe erzeugen.
»Siehst du, Noel. Das sieht nach dem richtigen Weg aus.«
»Wer hätte gedacht, dass uns Hannelore einmal so nützlich sein wird.« Ich blicke auf das Azurosa-Weibchen, das genüsslich jeden einzelnen Samen von dem steinernen Boden aufsammelt. Anfangs wollten wir ihr nur zur Flucht verhelfen, doch jetzt ist sie frei und dennoch weicht sie uns nicht von der Seite.
»Ich wusste schon immer, sie ist ein ganz besonderer Vogel!« Anna schenkt ihr eine Umarmung.
Direkt vor uns ist ein riesiger Eingang. Die zugehörige Tür aus Stein besteht aus zwei Teilen, wobei eine Seite fehlt. Im Inneren schimmert ein blaues Licht. Es ist das gleiche, dass auch die Blume in den Haaren von Anna ausstrahlt. Wir sind auf dem richtigen Weg.

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