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Nihidakka

Ein Kapitel aus dem Buch

 November 2020, Deutschland. Alle Rechte vorbehalten.

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Es dämmert. Die Wolfsherde bildet einen undurchdringbaren Kreis um uns. Mein Blick ist bei Anna. Ihre Mimik ist voller Furcht. So habe ich sie schon lange nicht mehr gesehen.
»Was hast du mit uns vor?«, fragt sie.
»Ihr habt uns heimlich belauscht, nicht wahr?« Die unbekannte Frau kommt uns Schritt für Schritt näher.
»Wir sind nur Torwald gefolgt. Ehrlich!«, antworte ich. »Wir dachten, es bestehe die Möglichkeit, dass er aus dem Wald hinaus geht.«
»Und was bitte, um alles in der Welt, wollt ihr zwei außerhalb des Waldes? Wo sind eure Eltern? Es ist euch nicht gestattet, den Wald zu verlassen!«, ruft Torwald. Er betritt aufbrausend das Geschehen.
»Wir sind Entdecker!«, erwidert Anna.
Torwald schaut überrascht und sagt: »Wie bitte? Entdecker? Werdet erst einmal Erwachsen! Ihr ...«
»Torwald genug! Ich verstehe sie.« Die unbekannte Frau streckt ihre Hand zu ihm aus. Ich bin erstaunt. Verteidigt Sie uns gegen seine Vorwürfe?
»Wisst ihr, auch ich wollte einst in die Welt hinaus.« Sie begibt sich zu einem nahegelegenen Baum und berührt ihn mit der flachen Hand. »Ich wollte sie alle kennenlernen – jede einzelne Pflanze, jedes Lebewesen. Mein Volk hat es mir auch verboten.«
»Warum haben sie es dir verboten?«, fragt Anna.
»Ich bin eine Naturwächterin und als solche ist es mir nicht gestattet, die Welt zu bereisen. Euer Volk nennt uns Dryaden. Wir dienen dem Gott Anaragai. Man nennt mich Nihidakka Aldikki. Ihr könnt mich einfach Nika nennen.« Sie schenkt uns ein Lächeln.
»Die Kinder sollten das nicht wissen. Beenden wir das Gespräch und ich bringe sie zurück in das Dorf!« Torwald nähert sich uns mit schnellem Schritt. Doch Nika stellt sich dazwischen und berührt ihn mit der rechten Hand an der Wange.
»Liebster, verstehst du nicht? Sie sind wie ich!« Sie schaut ihm tief in die Augen. »Wenn ich damals nicht geflohen wäre, hätten wir uns dann jemals getroffen? Sie brauchen unsere Hilfe!«
Torwald verschließt kurzzeitig die Augen und schnauft. »In Ordnung. Ich bringe euch aus dem Wald, aber nicht heute! Es dämmert bereits und ich werde im Dorf für die Vorbereitung auf das morgige Fest erwartet.«
»Vielen Dank, Liebster.« Nika küsst ihn auf die Wange.
Torwald will uns aus dem Wald bringen? Ich fasse es nicht. Vor einigen Minuten war ich fest davon überzeugt, dass wir einer Horde Wölfe zum Fraß vorgeworfen werden. Oh Stellux, die Hoffnung hat sich ausgezahlt.
»Anna! Hast du das gehört? Sie wollen uns aus dem Wald bringen! Wir haben es geschafft!«
Ich stelle fest, dass sie nicht mehr neben mir ist. Sie ist ... ich traue meinen Augen nicht. Sie bewegt sich zu den Wölfen. Und zwar nicht zu irgendeinem, sondern zum Alphatier: Lucky.
»Bist du wahnsinnig! Was machst du schon wieder?«
»Vorsicht, junge Dame!«, ruft Nika. »Er kann unberechenbar sein.«
Anna ignoriert uns und bewegt sich weiter auf das Alphatier zu. Das ist wieder typisch für sie. Handeln, ohne über die Folgen nachzudenken. Diese impulsive Art gefällt mir normalerweise an ihr. Wir ergänzen uns dadurch. Aber gerade mache ich mir ernste Sorgen. »Bitte, Anna! Das ist zu gefährlich.«
»Seht ihr das nicht?«, erwidert sie. »Er ist verletzt! Hier! An der Pfote!« Sie deutet auf die rechte Vorderpfote des Wolfes. Er leckt an ihr.
»Ich habe gelesen, dass das Lecken der Pfote ein Zeichen für eine Verletzung sein kann. Es lindert den Juckreiz und positive Botenstoffe gelangen in das Gehirn.«
Zeit für eine erneute Lehrstunde von Frau Funkenblitz. Wie merkt sie sich all diese Sachen in ihrem Kopf. Ein Blick zu Torwald und Nika zeigt mir, dass ich nicht der einzige Erstaunte bin.
Sie ist dem Wolf jetzt ganz nahe. Lucky weicht einen Schritt zurück und lässt sie dabei nicht aus den Augen. Anna macht sich klein und hält ihm vorsichtig ihre rechte Hand entgegen. Unterwirft sie sich? Ich erinnere mich an ein Buch aus meiner Schulzeit, indem ein solches Verhalten beschrieben war.
»Es dauert Jahre, Vertrauen zu einem Wolf aufzubauen! Besonders zu diesem hier! Anna, lass es bitte gut sein! Als er im Dorf war, hatte ich ihn an einer Leine und er hatte einen Maulkorb. Das war eine ganz andere Situation!« Torwald rückt auf meine Höhe auf.
»Damals hatte ich es auch geschafft, ihn zu streicheln. Ich darf ihm nur nicht in die Augen schauen. Das ist für ihn eine Drohung. Zeige ich ihm hingegen meine Körperseite, ist es eine Provokation. Ich muss irgendwie an seine Pfote herankommen, damit ich sehen kann, was damit nicht stimmt.«
Lucky schnuppert an ihrer Hand. Er weicht nicht mehr zurück. Die Berührung der Pfote lässt er zu.
»Ich glaube nicht, was ich da sehe«, sagt Torwald.
Nika bewegt sich ein paar Schritte vor und ist auf unsere Höhe. Sie hat ein Lächeln auf dem Gesicht und erwidert: »Er mag das Mädchen. Ich kann es fühlen. Er wird ihr nichts tun.«
Sie greift die Hand von Torwald, die er angespannt und griffbereit an seinem Bogen hat. Er senkt sie und atmet tief durch.
»Da! Ich habe es! Wusste ich es doch!«, ruft Anna. »Er hat Holzsplitter in der Pfote! Vermutlich von der Verfolgungsjagd von eben. Ich entferne sie.«
Sie greift unter ihr Kleid und holt einen Beutel an ihrem Bein hervor. Hat sie den die ganze Zeit darunter getragen? Er ist mit einer Schnalle an ihrem Oberschenkel befestigt. Das ist mir vorher nie aufgefallen.
»Papa rät mir zum Glück immer, dass ich nie ohne ein kleines Erste-Hilfe-Set das Haus verlassen soll.« Anna lächelt und wendet sich der Pfote zu. »Es wird alles gut Lucky. Das haben wir gleich. Schau! Ich habe mich auch verletzt.«
Sie zeigt dem Wolf die Verletzung an ihrem linken Arm. Im Anschluss holt sie eine Zange aus dem Beutel und macht sich an die Behandlung.
»Ganz vorsichtig. Nur ein kleiner Zug und er ist wieder raus. Dann geht es dir besser.«
Zack! Mit einem Ruck zieht sie den Holzsplitter heraus. Lucky zuckt kurz zusammen, beruhigt sich aber direkt wieder, als Anna ein paar wohltuende Laute von sich gibt. Die Behandlung ist geglückt.
»Oh, lass das!« Das Alphatier wirft seine Retterin freudig zu Boden und leckt ihr Gesicht.
»Wir müssen dringend los!«, sagt Torwald. »Es ist schon sehr spät. Eure Eltern suchen euch bestimmt verzweifelt. Ich werde ihnen sagen, dass ich euch das Jagen beigebracht habe.«
Anna und ich stimmen dem Vorschlag des Jägers zu und wir verabschieden uns samt Hannelore von Lucky, dem Rudel und Nika. Was für ein Erlebnis! Sobald ich zuhause bin, fülle ich weitere Seiten meines Entdeckertagebuchs. Morgen ist es dann so weit. Wir verlassen den Wald. Unser Abenteuer ist zum Greifen nahe!

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