November 2020, Deutschland. Alle Rechte vorbehalten.
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Es ist heiß. Mein Blick ist bei Anna. Ihre Augen sind noch immer geschlossen. Die Bestie ist direkt hinter mir.
Was soll ich jetzt machen? Weglaufen? Dafür ist keine Zeit mehr. Kämpfen? Nicht einmal Vared konnte diesem Wesen etwas anhaben.
Tränen überfluten meine Augenlider. Mutter, Vater, Anna – es tut mir leid. Ich habe keine Kraft mehr. Bei Stellux, ich schaffe es nicht.
»Reiß dich zusammen, Noel!«
Wer spricht da? Ich sehe mich um. Die Nacht schimmert in einem hellen Licht und ein Mann steht mit rot-schwarz kariertem Hemd und einer Axt neben den Ruinen. Seine Erscheinung ist nebelhaft. Das ist unmöglich!
»Vater? Bist du es?«
»Jammerst rum wie ein kleiner Junge. Das habe ich dir nicht beigebracht, mein Sohn.« Er streckt seine Axt in die Höhe. »Du bist jetzt ein wahrer Forstschlag! Schon vergessen?«
»Gib die Hoffnung nicht auf, Noel« Aus einer anderen Richtung hallt eine zweite Stimme. Es ist Mutter.
Was geschieht hier? Ist das ein Traum? Das geöffnete Maul des Ignaeria ist erstarrt wie der Rest der Umgebung. Lucky, Anna, Vared und Mira sind im gleichen Zustand.
Auf einmal hüpft das katzenartige Wesen von vorhin wie aus dem Nichts in das Maul der Bestie. Es gleitet nach und nach durch die einzelnen Zahnlücken und ist jetzt direkt vor mir.
»Willst du wirklich, dass es hier endet?«
Es spricht? Wie ist das möglich?
»Nein, ich will sie beschützen. Aber ich weiß nicht wie!«
Das Wesen setzt sich mit seinen drei wedelnden Schwänzen auf die Zunge des Ignaeria. »Was bist du bereit dafür zu geben?«
Ich halte kurz inne und mustere die Gestalt genauer. Dieses Licht und die Wärme – kann das sein?
»Du bist Stellux, oder?« Ich schaue erstaunt zu Mutter und Vater. »Ist das dein Reich?«
»Es ist nicht von Belang, wer ich bin. Es zählt nur wer du bist, Noel. Was du willst und bereit bist dafür zu geben.«
»Was ich bereit bin zu geben? Nur das, was niemanden außer mir verletzt. Ich gebe mein Leben, wenn ich die anderen damit rette.«
»Selbstlos.« Das katzenartige Wesen verlässt das Maul des Ignaeria und geht durch die Luft. Es schwebt! »Doch heute gab es schon genug Opfer, Noel. Es ist Zeit für eine Auferstehung.«
»Wie meinst du das?« Ich ziehe die Augenbrauen zusammen.
Eine Hand greift sanft meine rechte Schulter. Mutter steht hinter mir.
»Die Auferstehung des Lichts, Noel. Es ist dein Schicksal. Verliere niemals die Hoffnung. Glaube daran und Stellux ist mit dir.«
Vater berührt meine andere Schulter.
»Auch in der dunkelsten Stunde gibt es Licht. Die Medaille hat immer zwei Seiten, mein Sohn. Vergiss das nicht.«
Eine rasant ansteigende Wärme verteilt sich in meinem gesamten Körper und die Hände und Beine kribbeln. Das Umfeld wird zunehmend blasser. Dann ist es weiß. Die katzenartige Gestalt hüpft immer höher in die Lüfte und dreht sich dabei im Kreis.
»Entspann dich, Noel. Der Weg ist schwer. Das Ziel ist fern. Du hast viel verloren, doch gewinnst du umso mehr. Das ist nicht das Ende. Es ist der Anfang – der Anfang deiner Geschichte.«
Das Sichtfeld wird schwarz. Absolute Stille. Ich schließe die Augen. Jede Stelle meines Körpers ist gedanklich greifbar. Auch Anna, Vared und Mira sind spürbar. Ich nehme sogar noch jemand anderes wahr. Eine verdunkelte Seele voller Schmerz und Leid. Wer ist das?
Sekunden später strömt ein Schwall Energie aus mir, der mich meiner Kraft beraubt. Ich öffne die Augen, doch es ist nichts zu sehen. Nur ein dunkler Raum.
»Noel! Noel Forstschlag!« Eine Stimme hallt stetig durch meine Ohren. Woher kommt sie? Sie klingt vertraut.
»Bist du es, Anna?«, frage ich in die Leere. »Anna, ich bin hier!«
Dann erscheint sie direkt vor mir. Ihr bezauberndes Haar, das makellose Kleid, das hinreißende Lächeln – es besteht kein Zweifel.
»Anna, du lebst!« Ich renne zu ihr und umarme sie vor Freude.
»Dank dir.« Sie drückt sich fest an meine Brust.
Ihre Wärme – ich wünsche mir, dass sie mich nie wieder verlässt.
»Ich liebe dich, Anna.« Die Worte sprudeln aus mir heraus.
»Was?« Sie schreckt zurück und starrt mich mit großen Augen an.
Mein Herz schlägt rasch. Der ganze Raum dreht sich. Ich versuche zu atmen, zu sprechen, doch es klappt nicht. Was passiert hier?
Mit einem tiefen Atemzug erwache ich aus dem Traum. Ich liege mit dem Rücken auf dem Boden und bin wieder in den Mastar-Ruinen. Anna ist direkt über mir und schaut mich fragend an.
»Meinst du das ernst?«
»I ... Ich.« Hat sie es etwa gehört? Mein Herz rast und mir wird so heiß, dass die Hände schwitzen.
»Also, ähm, ich glaube ich hab Stellux gesehen.« Was rede ich da? Darum geht es doch gar nicht. »Naja, jedenfalls warst du in dem Traum und ...«
Anna hält ihren Zeigefinger auf meinen Mund und küsst mich auf die Lippen. Es dauert nur einen Moment, doch fühlt es sich an wie eine Ewigkeit. Noch Sekunden danach ist ihre Berührung spürbar.
»Du bist ein Held.« Sie zwinkert und steht auf. Dann deutet sie auf die Umgebung. »Schau, was du getan hast!«
Ich richte mich auf. Mein Körper ist weiterhin erschöpft. Dann verstehe ich, was Anna meint. Die ganzen Ruinen sind vom Rauch befreit. Nicht nur das. Der Boden, die Pflanzen, alles ist zu neuem Leben erblüht.
»Was war das, bitte?« Mira rückt zu uns auf.
»Ein Kuss?« Anna schaut sie mit angehobenen Augenbrauen an.
»Was? Nein! Natürlich nicht das.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich meine dieses abgedrehte Licht, das Noel ausgestrahlt hat. Es war auf einmal taghell. Das war der Wahnsinn! Ich fühle mich wie neu geboren.«
Mira rennt einige Male im Kreis. Sie hat wieder ihre magische Geschwindigkeit. Die Verletzungen sind verheilt.
»Wie ist das möglich? Was ist hier passiert?« Ich schaue zu Anna. Auch ihre Wunden sind verschwunden.
»Sag du es uns.« Mira zuckt mit den Achseln. »Der Ignaeria war kurz davor, dich zu verspeisen. Dann hast du plötzlich ein warmes Licht ausgestrahlt und alles war grell. Das Licht hat unsere Wunden geheilt, den Rauch verdrängt und die ganze Ruine mit Leben gefüllt.«
»Und der Ignaeria?«
»Dem ist die steinernde Haut abgefallen wie alte Schuppen.«
Ich blicke auf die riesige Bestie, die einige Meter von uns entfernt erschöpft auf dem Boden liegt und schwer atmet. Das soll ich gewesen sein?
»Kurz danach hast du das Bewusstsein verloren.« Anna verzieht die Mundwinkel und gleitet Lucky sanft durch das Fell. »Ich hab versucht, dich zu wecken, aber du hast lange nicht reagiert, bis zu dem Moment, in dem du dann gesagt hast, dass ...«
»Ja, den Rest kenne ich.« Ich falle ihr hektisch ins Wort und laufe rot an.
»Das war Lichtmagie, oder?«, fragt Mira. »Unter normalen Bedingungen ist es unmöglich, dass ein Mensch Magie wirkt. Und dann noch so ein mächtiger Zauber! Wie hast du das angestellt?«
»Ich ... Ich weiß es nicht.«
Das war also Magie? Und ich soll diesen Zauber ausgelöst haben? Wie kann das sein? Mutter, Vater. Ihr wart in meinem Traum. Ihr habt von der Auferstehung des Lichts gesprochen. Was hat das zu bedeuten? Hattet ihr etwa noch mehr Geheimnisse vor mir? Bei Stellux – ich verstehe es nicht.
»Das war nicht irgendeine Lichtmagie.« Vared nähert sich uns. »Feinde versengt sie, Freunden schenkt sie – die Nova der Nächstenliebe. Einer der mächtigsten Zauber dieser Welt.«
Mira schaut ihn fragend an. »Aber wie? Wie kommt Noel zu so einer Kraft? «
»Das klären wir später.« Vared zieht sein Schwert. »Es ist noch nicht vorbei. Der Ignaeria hat sich gleich erholt.«
»Echt jetzt? Das Vieh lebt noch?«
Die Bestie erhebt sich. Mit einem Schwung steht sie auf den Hinterbeinen und erstreckt sich bis zu den Baumkronen. Ich sehe sie zum ersten Mal in voller Pracht. Mit einem donnernden Gebrüll und ausgestreckten Krallen zeigt sie ihre Wut.
»Ich helfe euch! Vielleicht kann ich die Magie noch einmal wirken.« Ich schließe wieder meine Augen und konzentriere mich wie zuvor. Doch es passiert nichts. Wieso klappt es nicht?
»Du hast heute mehr als genug getan, kleiner Mann.« Vared bewegt sich nach vorn. »Dank deines Zaubers fühle ich mich mindestens zehn Jahre jünger. Malnada! Bist du bereit?«
Mira folgt ihrem Kommandanten. Sie hält ihr Schwert kampfbereit über dem Kopf und verlagert das Gewicht auf ihren vorderen Fuß. »Ich verliere kein zweites Mal!«
»Komm, Noel. Wir gehen besser in Sicherheit.« Anna greift meine Hand und zieht mich zu den Ruinen. »Wer sind die beiden eigentlich?«
»Sie sind aus Galvanna.« Ich falle erschöpft auf einen der Steine und beobachte den Kampf.
Mira schnellt als Erstes vor und schlitzt die Hinterbeine der Bestie auf. Die Wunden sind nicht tief, aber störend. Der Ignaeria kommt zurück zu Boden und schnappt nach den blitzartigen Bewegungen seiner Kontrahentin. Sie ist zu schnell.
Es erinnert mich an Vater, wenn er versucht, eine Fliege davon abzuhalten, sich auf ihn zu setzen. Sie lieben seinen Geruch. Mutter hat ihn häufig ermahnt, sich mehr zu waschen.
Vared nutzt den Moment der Ablenkung und rammt seine Klinge in eines der Vorderbeine. Der Ignaeria knickt um und das Maul schlägt auf dem Boden ein. Die Erde bebt. Mira besteigt über die Hinterbeine den Körper der Bestie und greift gezielt die Ohren an. Im nächsten Moment schwingen scharfe Pranken auf sie ein. Sie hechtet mit einem Satz zurück und rutscht auf dem Rücken der Kreatur hinunter.
Der Kommandant reißt sein Schwert heraus und springt schnell zu dem zweiten Vorderbein am Kopf. Er sticht mitten in die große Klaue der Bestie und zieht sie mit einem gewaltigen Ruck nach hinten. Knochen knacken und es ertönt ein qualvolles Gebrüll.
Der Ignaeria fällt donnernd zu Boden. Ohne intakte Vorderbeine ist es ihm nicht möglich, sich zu erheben. Vared steht direkt auf dem Kopf seiner Beute und hält sein Schwert vor sich.
»Es war mir eine Ehre.« Er rammt seine Klinge tief in den Schädel der Kreatur. »Ich hatte lange nicht so einen Spaß!«
Die Bestie heult ein letztes Mal auf. Es ist vorbei. Sie ist besiegt.
»Sie haben es geschafft.« Erleichtert lächle ich Anna an. »Jetzt werden wir endlich das Ende des Waldes sehen!«
»Du hast doch etwa nicht daran gezweifelt?« Sie neigt ihren Kopf zur Seite. Dann schaut sie betrübt in den Wald. »Aber wir haben auch viel verloren. Vater und die Anderen«, sie schluckt schwer, »sie sind alle ...«
»Dein Vater lebt«, korrigiere ich sie. »Er und Torwald haben überlebt.«
»Was? Wo ist er?« Sie schaut mich mit offenem Mund an. »Wir müssen zu ihnen. Los, Noel! Komm!«
Mit einem Mal springt sie auf und reißt mich mit sich. Doch ich stoppe sie in ihrem Vormarsch.
»Moment Anna! Lass uns auf Mira und Vared warten. Sie begleiten uns aus dem Wald.«
Anna nickt und wir gehen gemeinsam zu ihnen. Sie stehen vor der toten Bestie und beobachten gebannt, wie sich der Ignaeria Stück für Stück in Rauch auflöst.
»Da ist jemand.« Mira deutet in den aufsteigenden Qualm, in dem eine bewusstlose Person liegt. Ihre Haut ist gräulich, sie hat vier Arme und einen schuppigen Schwanz. Vared, Anna, Mira und ich schauen uns fragend an. Wer ist das?
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