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 November 2020, Deutschland. Alle Rechte vorbehalten.

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»Der Rauch scheint nicht in das Gebäude einzudringen«, sagt Anna. »Wie ist das möglich, wenn die Tür geöffnet ist?«
Magie - schwirrt es mir durch den Kopf. Ich behalte es aber für mich. Hannelore betritt zuerst die alten Gemäuer, da die Samen in das Gebäude führen.
»Unglaublich! Noel, dass musst du dir ansehen.« Anna winkt mich zu sich ins Innere.
Die Wände sind mit Ranken und Pflanzen versehen. Überall blühen dunkelblaue Blüten, die ein blaues Licht ausstrahlen, das den Raum, trotz fehlender Fenster und Öffnungen, erhellt.
»Glaubst du, dass es die gleichen Blumen sind wie die, die du in deinem Haar trägst?«, frage ich.
»Das erklärt, warum der Rauch hier nicht eintreten kann.« Anna entdeckt einige Steintafeln, die an einer der Wände anlehnen. »Diese Bilder, die Blumen und Pflanzen, die Statuen der Frauen dort draußen, ob diese Ruinen einst ein Dryaden-Dorf waren?«
»Deswegen weiß Nika auch so viel über diesen Ort.«
»Was ist hier bloß passiert, dass es zu solch einer Ruine wurde? Und was hat diese Kreatur, der Ignaeria, damit zu tun?«
Plötzlich ertönt ein Geräusch aus der anderen Ecke des Raumes und wir drehen uns schlagartig um.
»Hannelore! Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt.« Anna greift nach dem grauen Sack, den das Azurosa-Weibchen hervorgeholt hat. Er ist voller Samenkörner. »Wir nehmen einige mit, ja?«
Es kommt keine Antwort. Dennoch habe ich das Gefühl, dass Hannelore sie versteht. Wenig später erreichen wir am Ende eines längeren Korridors eine Treppe in den Untergrund.
»Hier ist ein Brunnensymbol!« Anna deutet auf eine der Wände. »Es ist, wie Nika es beschrieben hat. Wir sind richtig!«
Schritt für Schritt wagen wir uns in den Abgrund. Die Treppe nimmt kein Ende. Umso tiefer wir herabsteigen, desto geringer dringt das Licht aus der oberen Etage zu uns hindurch. Hier unten gibt es keine Blumen.
»Überall sind Zeichnungen an den Wänden eingraviert.« Anna befreit das Mauerwerk vom Staub. »Hier sind viele Dryaden zu sehen. Sie trinken mit einer Schale aus einem Brunnen. Auf den Bildern dahinter sind sie viel schöner - sie wirken glücklicher.«
»Die Mastar-Quelle. Das muss das Verjüngungselixier sein, von dem Nika gesprochen hat. Wir sind ganz nah.«
Im Anschluss erreichen wir das Ende des Abstiegs und ich sehe mich um. Der Weg spaltet sich in mehrere Gänge auf. Aus einem von ihnen strahlt ein blaues Licht. »Dort! Das muss es sein!«
Wir eilen los und unsere Schritte hallen durch das Gemäuer. In der Ferne höre ich ein Plätschern, das immer lauter wird. Mein Körper kribbelt. Ich will die Quelle mit eigenen Augen sehen und sie in das Tagebuch eintragen. Das wird unsere bisher größte Entdeckung.
»Woooow! Ein Springbrunnen!«, ruft Anna.
Die Mastar-Quelle. Sie ist direkt vor uns. Ich weiß nicht, ob ich blinzle, weil mich das Licht so blendet oder weil ich es nicht glaube. Wir haben sie gefunden.
Ich atme einen frischen, rosigen Duft ein und ein Rauschen und Plätschern füllt die Stille. Das Wasser spritzt aus den Mündern der Dryaden Statuen, die in unterschiedlichen Haltungen über dem runden Brunnen stehen. Dann saugen sie es mit ihren wurzelartigen Füßen wieder ein. Ein endloser Kreislauf. Links und rechts von der Quelle sind zwei große Sträucher, die den Boden und die Wände des Raumes mit Ranken schmücken. Auch hier gibt es die magischen blauen Blüten.
»Die Mastar-Quelle. Stellux sei Dank! Wir haben sie wirklich gefunden. Jetzt müssen wir nur noch eine Phiole füllen und sie zu Nika bringen.«
»Dann erfahren wir endlich, was es mit Galvanna auf sich hat und kommen aus dem Wald heraus.« Anna setzt Hannelore ab und umarmt mich vor Freude. Für einen Moment bin ich wie gelähmt. Diese Nähe zu ihr lässt mein Herz rasen. Wieso macht sie das? Ich schlucke schwer. Dann schaut sie zu mir hoch und unsere Blicke treffen sich. Es ist das gleiche Gefühl wie heute Vormittag in Istal.
Doch dann reißt sie sich von mir los und schaut zur Seite. »Äh! Tut mir leid! Ich war so glücklich und – Egal! Kümmern wir uns wieder um unsere Aufgabe!« Sie greift nach ihrer Phiole und bewegt sich zur Quelle.
»Nein. Kein Problem. Ich liebe deine Umarmungen – und alles andere auch«, denke ich mir in meinem Kopf. Ich fühle mich wie gelähmt. Hätte ich es ihr sagen sollen? Es war ein guter Moment.
»Wir haben uns schon lange nicht mehr umarmt, oder?« Anna lächelt mich an, während sie die Phiole mit Wasser befüllt. »Es fühlt sich anders an, als früher.«
»Ja. Das stimmt.«
Bei Stellux, was rede ich da? Ist das alles, was ich dazu zu sagen habe? Mein Herz schlägt wie wild und der Schweiß läuft mir von der Stirn. Warum ist es so schwer, darüber zu reden?
Um mich zu beruhigen, sehe ich mir die Sträucher an der Quelle genauer an. Sie sind mit einer Vielzahl von Blättern verziert, die alle eine unterschiedliche Form besitzen. Ich wühle mich durch das Gewächs und ertaste dahinter einen kräftigen Stamm.
»Ehm, was machst du da?«, fragt Anna und verstaut die gefüllte Phiole.
»Dieser Strauch ist ungewöhnlich. Die Blätter haben verschiedene Formen und er hat einen sehr dicken länglichen Stamm wie bei einem Baum.« Ich taste mich weiter nach oben. »Nein! Das kann nicht sein!« Ich lege mit meinen Händen das Gestrüpp am oberen Ende frei. Anna steht direkt hinter mir.
»Ist das ... Ist das etwa ein Kopf?!«, ruft sie entsetzt.
Wie gebannt starren wir beide auf einen, aus Rinde geformten Kopf. Der Mund, die Nase, geschlossene Augen - es ist alles zu erkennen!
»Was ist bloß in diesen Ruinen geschehen?«
»Das muss eine Dryade sein«, antwortet Anna. »Ist sie ... tot?«
Zeitgleich reißt der Kopf seine Augen auf. Wir schrecken schlagartig zurück. Dabei stoße ich gegen den Strauch auf der anderen Seite. Auch hier starren mich zwei geöffnete Augen an.
»Weg hier!«, schreie ich und reiße mich von dem Gewächs mit aller Kraft los.
Anna nimmt Hannelore und wir fliehen. Schnell eilen wir durch den Gang. Ich höre, wie es hinter mir raschelt. Nicht umdrehen! Nur rennen!
Wir erreichen die Treppe. Das Atmen fällt mir zunehmend schwerer. Anna schafft es, mein Tempo zu halten. Es ist keine Zeit für Pausen. Keine Zeit für irgendetwas, außer weiterlaufen!
Das Rascheln hört nicht auf. Oh Stellux, wo sind wir hier wieder reingeraten. Nika hat kein Wort von Sträuchern mit Augen oder anderen Dryaden gesagt.
Wir sind oben! In Windeseile rennen wir zum Eingangsbereich.
»Die Ranken verschließen den Ausgang!«, ruft Anna. »Wir müssen uns beeilen!«
»Das schaffen wir!«
Doch dann klammert sich etwas an meinem Bein fest. Ich werde zu Boden gerissen und drehe mich um. Der ganze Raum hinter uns ist mit Ranken und Wurzeln überwuchert. Ich versuche, mich zu befreien. Zwecklos.
»Noel! Warte, ich befreie dich!«
»Nein! Du musst die Phiole zu Nika bringen. Bitte! Davon hängt alles ab!«
»Was redest du da? Ich lasse dich bestimmt nicht hier allein! Wir schneiden es einfach ab!« Sie greift nach ihrer Tasche, doch auch sie wird von den Ranken umschlungen. »Verdammt! Ich kann mich nicht mehr bewegen!«
Die Situation scheint aussichtslos. Mehr und mehr schlingen sich die Pflanzen um unsere Körper. Ich schließe die Augen und bete.
»Oh Stellux, bitte befrei uns aus dieser misslichen Lage. Wir haben so viel vor. Es darf hier nicht enden! Nicht in diesen alten Ruinen. Das Dorf, Nika, Torwald, unsere Eltern - sie verlassen sich alle auf uns.«
Dann passiert das Wunder. Die Ranken lösen sich. Ich öffne die Augen und sehe Hannelore, in einem bläulichen Schimmer. Sie steht vor uns auf einer der Wurzeln und wird langsam in die Tiefen getragen. Dabei hebt sie ihren rechten Flügel, als verabschiede sie sich bewusst von uns. »Danke für alles«, sagt eine fremde Stimme in meinem Kopf.
»Hannelore! Nein!« Anna eilt ihr nach. Doch ich halte sie an ihrem Arm fest.
»Anna. Lass uns gehen. Die Tür schließt sich gleich komplett.« Ich deute auf den Ausgang, der nur noch einen Spalt geöffnet ist.
»Aber sie...«
»Anna, bitte!«
Widerwillig und in Tränen gibt sie sich hin und wir rennen los. Im nahezu letzten Moment gleiten wir durch die Öffnung und sind wieder umringt von dem orangenen Rauch. Ich falle kraftlos auf den Boden.
»Was hat sie getan? Was haben sie mit ihr vor?«, schluchzt Anna.
»Es ist, als hätte sie sich zum Austausch angeboten. Als hätte sie mit den Ranken geredet. Ich glaube, dass sie auch mit uns gesprochen hat. Hast du ihre Stimme auch gehört?«
»Ich weiß es nicht. Es ging alles so schnell. Außerdem ist mir nicht bekannt, dass Tiere sich abseits ihrer eigenen Art miteinander verständigen können. Aber mich überrascht nicht mehr viel. Dieser orangene Rauch, die rasch wachsenden Ranken, der Ignaeria, Magie. Hättest du mir vor einigen Tagen erklärt, dass es diese Dinge gibt, hätte ich dich ohne zu zögern für verrückt erklärt.« Sie hält eine ihrer Handflächen an das mit Ranken verschlossene Gestein. »Ob sie noch lebt? Ob es ihr gut geht?«
»Natürlich! Du hast es doch selbst vorhin gesagt. Sie ist ein ganz besonderer Vogel!«
»Ich hoffe es...«
»Wir sollten los. Die Zeit drängt. Nika wartet sicher schon.«
Anna stimmt zu und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Auf dem Rückweg orientieren wir uns an den Fußspuren des Hinweges. Es herrscht Stille. Unsere Gedanken sind noch bei Hannelore. Doch als wir den Durchgang an der Mauer erreichen, bleiben wir besorgt stehen.
»Du spürst es auch oder?«, frage ich Anna.
»Der Boden. Er bebt.«
»Das heißt wohl, der Ignaeria ist wach! Wir müssen jetzt so leise sein wie möglich!« Ich hole tief Luft und schleiche mich durch die enge Spalte im Gestein.
Anna ist direkt bei mir. Hinter der Mauer nimmt das Beben zu. Es ist ein gleichmäßiger Takt. Den Standort der Kreatur auszumachen ist durch den Rauch unmöglich. Der Ignaeria kann jeden Moment auftauchen. Was machen wir dann? Laufen? Oder sollten wir lieber stehen bleiben? Er hat keinerlei Augen, aber ein erstklassiges Gehör.
Umso stärker das Beben, desto langsamer und behutsamer sind unsere Schritte. Ich drehe mich zu Anna um. Sie beobachten den Boden unter ihr und vermeidet jedes Geräusch. Als sie zu mir hochsieht, reißt sie ihren Augen weit auf und deutet hektisch mit ihrem Finger zu mir. Ich drehe mich schlagartig um. Das, was ich zu Gesicht bekomme, verschlägt mir den Atem. Der Ignaeria ist in unser Sichtfeld geraten und nahezu regungslos. Durch den Rauch erkenne ich nur den vorderen Teil des Kopfes. Das Beben hat aufgehört.
Die Stille ist bedrückend. Anna und ich sind beim Anblick dieses Kolosses wie erstarrt. Meine Hände und Beine zittern. Sie wollen fliehen. Anna geht es sicher genauso, doch wir dürfen uns nicht bewegen. Die Kreatur lauert nur darauf.
Der Ignaeria schwenkt seinen Kopf und stößt ein dröhnendes Gebrüll aus. Der Druck ist so immens, dass der Rauch in Schwingungen gerät. Es ist, als schlottere er vor Angst.
Anna versucht an der Kreatur vorbeizurennen, doch ich greife mir ihre Hand und zerre sie dicht an mich heran. Sie schaut überrascht zu mir hoch. Ich schüttle den Kopf.
Ihre Arme umklammern mich und sie lehnt sich an meine Brust. Ich schließe die Augen. Für einen Moment fühle ich nur die Wärme, die ihr Körper ausstrahlt. Ich halte sie ganz fest.
Das Beben beginnt wieder. Ich wage es nicht, die Augen zu öffnen. Den Geräuschen nach zu urteilen, ist die Bestie jetzt noch näher. Wir umarmen uns fester. Der Stoff von ihrem Kleid ist so dünn, dass ich ihre weiche Haut spüre.
Meine Gefühle spielen verrückt. Todesangst gemischt mit einem Hauch von Liebe. Sekunden sind wie Minuten. Ein Teil von mir verlangt, dass es endet – ein anderer, dass es nie wieder aufhört.
Der Ignaeria atmet tief ein und aus. Dadurch landet irgendetwas auf meinem rechten Arm. Es ist enorm heiß und brennt sich durch die Klamotten. Mit aller Kraft unterdrücke ich den Schmerz und kneife die Augen krampfartig zusammen.
Das Beben wird leiser. Haben wir es geschafft? Ich schaue mich um. Der Ignaeria ist nicht mehr zu sehen. Hastig entferne ich den heißen Klumpen von meinem Arm. Er hinterlässt eine geringe Verbrennung.
»Ist es vorbei?« Ihre Umarmung wird sanfter.
»Ich denke schon.«
Sie weicht einen Schritt zurück und lässt mich dabei los.
»Tut mir leid, dass ich losrennen wollte. Ich hatte solche Angst und konnte mich nicht mehr kontrollieren.«
»Ach was, es ist ein Wunder, dass ich mich beherrschen konnte. Am Ende haben wir es überstanden. Stellux ist auf unserer Seite.«
Sie lächelt und dreht mit ihrem Zeigefinger Locken in ihr Haar. »Und es tut mir auch leid, dass ich dich so umklammert habe.
»Ich fand es schön. Es hat mir geholfen, mich zu beruhigen.«
Mein Gesicht wird warm. Es ist still. Gehe ich hin und umarme sie? Ist es das, worauf sie wartet?
»Na gut.« Anna klatscht in die Hände. »Wir sollten schnell aus dem Rauch heraus. Noch mal will ich dem Ignaeria nicht begegnen.« Sie dreht sich um und macht eine Handbewegung, ihr zu folgen. »Hopp, Hopp! Wir haben es eilig.«
Ich habe wieder den Moment verpasst. Verdammt! Ich denke zu lange darüber nach.

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