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Transport

Ein Kapitel aus dem Buch

 November 2020, Deutschland. Alle Rechte vorbehalten.

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Der Weg nach Istal ist direkt neben dem Holzfällerpfad. Wir nennen ihn den Gemeinschaftsweg. Er verbindet nicht nur Valan und Istal miteinander, sondern auch Sunas und dadurch die ganze Dorfgemeinschaft. Alle Dörfer sind jeweils mit einem Fußmarsch von zwei Stunden verbunden, wobei ich vermute, dass wir mit dem Karren knapp drei brauchen. Immerhin ist er komplett mit Holz befüllt und lässt sich nur sehr aufwändig schieben.
Stellux sei dank, ist Anna dabei. Meine anfängliche Sorge, dass der Vormittag langweilig, ja gar unangenehm, werden würde, ist damit vergangen. Ob sie schon einen Plan geschmiedet hat, wie wir Torwald befreien? Ich wette darauf!
Vater und ich ziehen mit aller Kraft das Gefährt hinter uns her. Wir sind noch nicht lange unterwegs und ich merke jetzt schon den Schweiß, der langsam über mein Gesicht perlt. Ich blicke neidisch zu Anna, die sich entspannt am Wegesrand umschaut. Sie sucht sicher neue Entdeckungen. Hannelore weicht ihr dabei nicht von der Seite und pickt die ein oder andere Leckerei vom Waldweg.
»Dort vorne sind Unebenheiten, mein Sohn.« Vater zeigt mit der Hand einige Schritte vor uns auf den Boden. »Davon gibt es viele auf diesem Weg. Die sollten wir vermeiden, sonst wird der Karren noch beschädigt.«
Ich nicke ihm zu. Für eine Antwort fehlt mir die Luft.
»Stop! Wartet mal kurz.« Anna stellt sich vor uns. »Die Unebenheiten sehen ungewöhnlich aus. Ich schaue mir das an.«
Bei Stellux, eine Pause. Ich wische mir den Schweiß aus dem Gesicht und atme tief durch. Anna nähert sich der Stelle und geht in die Hocke. Mit der Hand säubert sie den Boden von kleinem, losem Gestrüpp und ähnlichen Kleinteilen, die ihr sonst die Sicht erschweren.
»Ich glaube, das sind Fußabdrücke. Die Form würde stimmen. Es muss sich um einen Sohlengänger handeln.«
»Sohlengänger? Was ist das?« Ich schaue hilfesuchend zu Vater, der jedoch mit den Schultern zuckt und den Kopf schüttelt.
»Ach, Noel.« Anna dreht sich zu uns um. »Sohlengänger sind Lebewesen, die sich bei der Fortbewegung mit ihrem kompletten Fuß auf dem Boden befinden. So wie wir. Ein Gegenbeispiel sind Wölfe. Sie sind Zehengänger. Das bedeutet, die Bewegung findet nur über die Finger und Zehen statt, sodass andere Teile den Boden nicht berühren. Dadurch entstehen die typischen punktuellen Pfotenabdrücke.«
Wo speichert sie bloß dieses ganze Wissen. Selbst Vater ist beeindruckt. Das habe ich, soweit ich mich erinnere, in den letzten sechzehn Jahren noch nie geschafft. Aber sein Gesicht strahlt mehr als nur Erstaunen aus. Er wirkt – beunruhigt.
»Bist du dir sicher? Das Loch ist sehr groß für ein Tier. Zeig mal her!« Vater lässt den Karrengriff los, der augenblicklich zu Boden knallt und dabei nur knapp meine Füße verfehlt. Kann er sowas nicht ankündigen?
Er kniet sich neben Anna hin und untersucht den Abdruck. »Wie kann das sein?« Vater schaut sich um und entdeckt abseits des Weges einen umgefallenen Baum. »Hier ist noch ein Abdruck.«
Anna eilt, dicht gefolgt von Hannelore, zur zweiten Stelle. »Was war das bloß? Ob es auch den Baum umgeworfen hat? Es muss riesig gewesen sein. Ich meine, schaut euch die Abdrücke an.«
»Lass mal sehen.« Ich nähere mich den Fund. Es dauert nur einen Moment, bis mir etwas in die Augen springt. »Seht! Hier ist ein Pulver auf dem Boden. Es ist – orange?«
Anna hebt es auf und riecht vorsichtig daran. Dann hustet sie stark. »Puh! Das stinkt verbrannt. Ich glaube, das ist Ruß! Komisch. Warum ist er orange? Es wirkt auch nicht so, als hätte es hier gebrannt. Die Pflanzen und Bäume haben kein Feuer gefangen.«
»Nicht, wenn häuptsächlich die Luft gebrannt hat.« Vater erhebt sich und starrt gebannt in den Wald.
»Die Luft? Hä?«, erwidert Anna. »Aber Luft kann doch gar nicht brennen? Das macht keinen Sinn. Sie brennt ja auch nicht bei einem Lagerfeuer.«
»Kein Lagerfeuer. Ein Ignaeria.«
Anna und ich schauen uns fragend an. Was redet er da? »Also weißt du was es war, Vater? Ein Ignaeria? Was ist das? Ein Tier?«
»Was?« Er zuckt zusammen, als wäre er aus einem Traum erwacht. Dann schüttelt er mit dem Kopf. »Nein, ich kenne es nicht. Ich habe nur vor mich hingeredet. Vergesst, was ich gesagt habe. Wir müssen weiter! Wir haben noch einen langen Weg vor uns.« Er bewegt sich hektisch wieder zum Karren und ergreift den Griff. »Es geht weiter, mein Sohn. Los!«
Dass er der Frage ausweicht, ist wieder typisch für ihn. Diese Geheimnistuerei nervt! Es ist immer das Gleiche! Kann er nicht einmal mit der Wahrheit rausrücken?
»Mooooment. Stop!« Anna stellt sich erneut vor den Karren und streckt die Hand aus. Hannelore steht neben ihr und hält ebenfalls einen Flügel vor sich. Ist das möglich? Ahmt das Azurosa-Weibchen sie nach? »Nicht so schnell, Herr Forstschlag! Jetzt müssen sie schon mehr erzählen, wenn sie sich so verplappern! Was ist ein Ignaeria? Ist es überhaupt ein Tier? Oder ist es ein Monster, so wie die großen Meeresungeheuer, die im Wasser leben?«
»Anna, bitte, wir sind in Eile. Ich habe schon mehr als genug erzählt. Keine Sorge. Ich werde den Vorfall mit Valan und den anderen bei unserer Rückkehr besprechen. Komm jetzt Noel!« Er winkt mich zu ihm.
»Sie sind ein echter Sturkopf.« Anna weicht zur Seite und hebt ihren Zeigefinger in die Luft. »Wenn sie es mir nicht sagen, mache ich mir eben selbst ein Bild.«
Während wir den Karren wieder in Bewegung setzen, redet Anna aufgeregt mit sich selbst. »Es handelt sich allem Anschein nach um ein großes Wesen, das Luft verbrennt. Das ›Wie?‹ ist aufgrund der Sturheit der Erwachsenen noch ungeklärt. Auch das ›Wo?‹ ist nicht bekannt. Schließlich wissen wir nicht, wo es sich gerade befindet. Ob es wohl im Wald lebt? Wir könnten die Spuren zu gegebener Zeit verfolgen!«
»Das werdet ihr ganz bestimmt nicht machen.« Vater grummelt vor sich hin. »Ihr habt mit eurer ewigen Neugier gestern schon genug Ärger gemacht. Das ist alles kein Spiel. Die Welt dort draußen ist gefährlicher, als ihr glaubt. In die Kategorie ›sehr gefährlich, bis tödlich‹ könnt ihr den Ignaeria einordnen!«
Anna dreht sich hektisch zu uns. »Oooh! Es handelt sich also tatsächlich um ein Monster? Ein Fleischfresser? Lebt er etwa im Westwald?«
»Ist das Dorf dann nicht in Gefahr?«, frage ich. »Wir sollten schnell alle warnen und mehr Wachen aufstellen!«
»Lasst das bitte mein Problem sein. Macht euch keine Sorgen. Hier im Wald waren wir immer sicher und werden es auch immer sein. Konzentriert euch einfach auf unseren Transportauftrag!« Vater ist anzusehen, dass er gerne den Rest des Weges mehr Ruhe hätte. Ein Blick zu Anna zeigt mir, dass sie tief in Gedanken versunken ist.
Ein Ignaeria. Auch ich grübele vor mich hin. Es ist beängstigend, dass so ein großes Wesen durch den Wald wandert. Ob Torwald es kennt? Kann er uns vor ihm beschützen? Er hat uns auch vor der Wolfsplage beschützt. Aber er ist von Valan auf in das Verlies verbannt worden. Wie soll er uns da helfen, wenn uns dieser Ignaeria überfällt? Für mich ist das nur ein weiterer Grund, Torwald zeitnah zu befreien. Anna sieht das sicherlich genauso!
Die nächste Zeit des Transports verläuft ruhig. Vater genießt es sicher. Ich dagegen merke mehr und mehr, wie meine Muskeln versagen. Ich sehe bestimmt schon vollkommen fertig aus. Das sagen mir jedenfalls die bemitleidenswerten Blicke von Anna und der Dorfbewohner, die unsere Wege auf dem Gemeinschaftsweg kreuzen. Oh Stellux, wann erreichen wir endlich Istal? Ich kann nicht mehr.
Als hätte mich der Lichtgott erhört, kommen wir einige Sekunden später zum Stillstand. Vater holt einen Trinkbeutel aus seiner Tragetasche. »Wir machen eine kurze Pause. Jeder kann einen Schluck trinken und in die Büsche, falls notwendig. Ein zweites Mal werden wir nicht anhalten, bevor wir in Istal sind. Ich denke, es ist auch nicht mehr so weit. Vielleicht noch eine halbe Stunde, dann sind wir da.«
Dieses Angebot lehne ich nicht ab und nehme einen kräftigen Schluck aus dem ledernen Wasserbehälter.
»Ich bin gleich wieder da.« Vater wandert langsam in den Wald. »Muss mich mal entleeren. Ihr rührt euch bitte solange nicht vom Fleck. Ich verlasse mich auf dich, mein Sohn!«
»Dein Vater kann echt anstrengend sein!« Anna rollt mit den Augen. »Wie hältst du das bloß den ganzen Tag mit ihm aus?«
»Ich finde, du hast ihn ganz gut im Griff. Da kann ich mir noch einiges abschauen!«
Anna kichert. »Naja, ich gebe mein Bestes. Er ist eben ein grummeliger Sturkopf.«
»Ich hoffe, wir sind hier bald fertig! Das Geziehe ist echt anstrengend.«
»Echt? Sieht man dir gar nicht an.«
»Ha. Ha. Ha.« Ich bin normalerweise nicht gut darin, Sarkasmus zu erkennen, aber dieser war eindeutig. »Wir müssen unbedingt zu Torwald und ihn aus dem Verlies holen! Wir waren so kurz davor, unser Ziel zu erreichen!«
»Ja! Vor allem ist es ganz ungewöhnlich, dass er in das Verlies gesteckt wurde!« Sie flüstert und schaut sich dabei um, ob Vater wiederkehrt. »Ich habe gestern noch ein Gespräch zwischen Valan und meinem Vater mitbekommen. Angeblich ist Torwald ein Galvanna-Spion! Das hat jedenfalls Valan erzählt.«
»Ein Galvanna-Spion?! Was soll das sein?«
»Tja, wenn ich das nur wüsste.« Sie streift durch ihr rotes Haar. »Ein Spion ist jemand, der heimlich Informationen beschafft. Habe ich extra noch einmal in einem meiner Bücher nachgelesen! Aber den Begriff Galvanna konnte ich nirgendwo finden.«
Galvanna. Tief im Inneren kommt mir dieser Begriff bekannt vor, aber ich kann ihn nicht zuordnen. »Vielleicht ist es auch ein Dorf? Oder es hat etwas mit Nika zu tun?«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Aber es macht irgendwie alles nicht so richtig Sinn in meinem Kopf. Wir müssen unbedingt Torwald damit konfrontieren. Ich habe schon einen Plan!«
Bevor sie mir davon erzählt, raschelt es im Gebüsch und Vater erscheint. »Seid ihr bereit? Es geht weiter. Wir sind fast da!«
Er packt die Trinkbeutel wieder in seine Tasche und hängt sie sich um. Dann ergreift er den Karrengriff. Es geht weiter.
Anna hat also tatsächlich schon einen Plan. Wie er wohl lautet? Es sind viele offene Fragen in meinem Kopf. Das Erlebnis mit der Dryade Nika, die zu hohe Bestrafung für Torwald und die Tatsache, dass er ein Galvanna-Spion ist. Dann ist da noch dieses Wesen, das sich hier im Wald rumtreibt. Was hat es damit auf sich? Mein Gefühl sagt mir, dass all diese Dinge miteinander zusammenhängen. Nur wie?

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