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 November 2020, Deutschland. Alle Rechte vorbehalten.

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Es ist Nacht. Die Luft riecht verbrannt und der Himmel ist stark bewölkt. Der Feuerrote steht neben mir und wir beobachten gemeinsam einen Schatten, der sich mit rasender Geschwindigkeit auf uns zu bewegt. Ich bin kampfbereit.
»Lass gut sein.« Vared streckt seine Hand vor mir aus. »Das ist keine Bedrohung.«
»Was ist es dann?«
Bevor er die Frage beantwortet, hat es uns erreicht. Ich bin überrascht. Es ist ein Mensch. Eine Frau mit blau schimmerndem, langem Haar. Sie kniet sich vor Vared nieder. »Kommandant! Ich habe alles versucht. Oskar wollte nicht hören. Es war ein Fehler, ihm die Verantwortung zu übergeben.«
Sie ist aus der Puste und wirkt aufgewühlt.
»Das hat mir gerade noch gefehlt.« Vared streicht sich mit der Hand über die Stirn. »Wieso macht hier eigentlich nie jemand das, was man ihm sagt.«
Ich schaue mir die Frau genauer an. Sie ist jung. Maximal vier Jahre älter als Anna und ich.
Ein Zopf verziert ihr Haar und sie hat ein blaues Oberteil an. Es ist zu kurz – ihr durchtrainierter Bauch ist sichtbar, genauso wie ihre sportlichen Beine, die nur zum Teil von einem rosafarbenen Rock verdeckt werden.
Um die Hüften trägt sie einen Gurt mit einer Schwertscheide. Es ist eine Art Krummschwert. Norbert hat solche in seiner Schmiede.
Unsere Blicke kreuzen sich.
»Wer ist der Junge?« Sie schaut sich um und erblickt die verbrannten Leichen der anderen Fremden im Gras. »Was zum Henker ist hier geschehen?«
»Tja, hätte besser enden können. Der kleine Mann hat gerade seine Eltern verloren. Er ist ein Code S und in deiner Obhut. Alles klar, Malnada?«
Die Frau hebt eine ihre Augenbrauen an und schaut zu mir. »Wie bitte? Das kann nicht Ihr ernst sein? Code S? Das ist ein Witz, oder?«
»Mir ist heute nicht nach Scherzen.« Sein Tonfall wird streng. »Kann ich auf dich zählen, Malnada?«
»Puh! Ich wusste es wird ein beschissener Tag.« Sie schaut entnervt zur Seite, bevor sie sich wieder mir zuwendet. Sie lächelt, doch es wirkt gestellt. »Hey! Ich bin Mira! Und wie heißt du?«
Ich stehe einen Moment neben mir. Die Anspannung, das Kribbeln, die Trauer, es ist alles noch da. Sind diese Fremden tatsächlich Freunde? Sie haben unsere Heimat zerstört. Oh Stellux, wo führst du mich hin?
»Alles ok bei dir?« Sie neigt ihren Kopf zur Seite. »Ach, Scheiße! Du hast gerade deine Eltern verloren, oder? Kein Wunder, dass du noch so neben der Spur bist. Tut mir echt leid. Das war keineswegs unser Ziel. Ist alles ein wenig aus dem Ruder gelaufen – wie immer.« Sie seufzt. »Wenn es dich tröstet: Ich habe auch keine Eltern mehr.«
»Was? Wieso? Woran sind sie gestorben?«
»Das weiß ich leider nicht. Ehrlich gesagt hatte ich nie welche.« Sie verzieht ihre Mundwinkel und schaut auf den Boden.
»Trödelt nicht! Reden könnt ihr auf dem Weg. Wir schließen schnell zur Gruppe auf. Es ist heute schon genug schief gelaufen!«, hallt es aus der Ferne. Vared ist längst weitergegangen und winkt uns zu sich.
»Jawohl, Kommandant«, ruft Mira. Sie deutet mit dem Kopf in seine Richtung. »Los gehts. Bevor der Alte noch schlechtere Laune bekommt.« Sie zwinkert mir zu.
»Ich heiße Noel. Noel Forstschlag.« Ich reiche ihr die Hand und sie erwidert meine Geste.
»Noel also. Freut mich dich kennenzulernen.« Wir setzten uns in Bewegung. »Sieht so aus, als hast du mich jetzt häufiger an der Backe, Noel. Code S sei dank.«
»Was soll das bedeuten? Code S?«
»Code S ist eine Form von Personenschutz. Das S zeigt an wie wichtig die Person ist.«
»Und wie wichtig bin ich?«
»Naja. S ist die höchste Stufe. Kurz gesagt: dein Leben ist wichtiger, als meins.«
Was? Sie soll mich mit ihrem Leben beschützen?
»Was habt ihr mit uns vor? Wieso seid ihr in das Dorf gekommen?«
»Wir bringen euch nach Galvanna. Es gab Ärger mit dem Hexagon.«
»Dem Hexagon? Was ist das schon wieder?«
Mira lacht. »Ich befürchte, dir wurde nicht so viel über Galvanna erzählt, oder?«
»Unsere Eltern haben uns so gut wie nie etwas erzählt.« Ich rolle mit den Augen. »Sag mal, liegt Galvanna auch im Wald?«
»Du bist lustig.« Sie schmunzelt. »Vor einigen Jahren ging es mir genauso wie dir. Komplett ahnungslos und überfordert von der Außenwelt. Nur, dass ich nicht in einem Wald gelebt habe, sondern in einem Labor.«
Ein Labor? Was ist das schon wieder für ein Ort? Sie verwendet so viele Begriffe, die ich nicht kenne.
Plötzlich halten wir an. Vared steht regungslos vor uns. Mira macht es ihm nach. Stille. Es ist stockdunkel.
»Warum halten wir an?«, frage ich verwirrt.
»Psst! Ruhig!«, antwortet Vared erbost. »Hör doch.«
Ich horche in den Wald hinein. Hier und dort raschelt es in den Büschen. Ist das nicht normal?
Doch dann verstehe ich. Schreie. Sie sind weit in der Ferne. Ein Knall ertönt, gefolgt von einem zweiten.
»Auf was schießen sie?« Mira geht beunruhigt einige Schritte vor. »Verdammt! Oskar hätte einfach warten sollen!«
Vared seufzt. »Warum kann es nicht einmal so laufen wie geplant? Bewegt euch! Ich habe heute schon genug Leute verloren.« Der Feuerrote rennt los.
Mira packt meine Hand mit einem festen Griff. »Gut festhalten! Wir müssen uns beeilen.«
Bevor ich reagiere, reißt sie mich mit und schleift mich hinter ihr her.
Wenig später halten wir auch schon wieder an. Es ist stockdunkel. Die Schreie sind verstummt. Mira öffnet ihre Schwertscheide und hat die Hand am Griff ihrer Waffe.
»Wo sind alle?« Sie schleicht einige Schritte vor und holt etwas aus ihrem Gürtel. Es ist ein kleiner, rechteckiger Gegenstand. Ein Licht erscheint, nachdem sie ihn berührt. Ist das wieder Magie?
»Nein! Das darf nicht wahr sein!«, ruft Mira. Sie schluchzt. »Wie ist das möglich?«
Was hat sie gesehen? Ich folge dem Licht. Dort liegt jemand am Boden! Nein! Nicht irgendwer. Es ist Valan Brenshar, besudelt mit Blut und voller Bisswunden. Er ist tot.
Ich folge dem Lichtschein und er deckt noch weitere regungslose Körper auf. Einige davon sind aus Valan. Andere kenne ich nicht. Sie tragen die gleiche Kleidung wie die Fremden, die Vater und Mutter getötet haben.
»Verdammt! Oskar, wo steckst du? Scheiße!« Mira leuchtet hastig durch den Wald.
Ich renne ebenfalls los. Mein Herz schlägt immer schneller und ich bekomme Schweißausbrüche.
»Anna! Wo bist du? Sag doch was!«, rufe ich in die Nacht. Überall sind Leichen. Frau Hammelblatt, Familie Weizenacker, sogar Willy und Winfried! Ich erkenne sie alle wieder. Ihre Gesichter sind erstarrt vor Angst. Bei Stellux, welche Grausamkeit war hier am Werk.
»Anna!« »Oskar!« Immer wieder rufen wir ihre Namen, doch sie sind nicht auffindbar. Es sind so viele Tote. Teilweise sind sie fürchterlich entstellt.
»RUHE!«, ruft Vared in den Wald hinein.
Mira zuckt zusammen. Ihr Gesicht ist voller Tränen. Der Lichtstrahl zittert.
»Malnada! Konzentrier dich und mach das Licht aus!«
»Scheiße!«, flucht Mira. Der Gegenstand ist ihr auf den Boden gefallen. Sie hebt ihn auf. Dann erlischt das Licht und sie atmet einmal tief durch.
Vared ist zu uns aufgeschlossen. »Ich zähle jetzt bis drei. Danach nimmst du dir den kleinen Mann und verschwindest von hier, verstanden?«
»Ok.« Sie schluckt schwer und greift meine Hand. »Komm, Noel.«
»Ich gehe hier nicht weg! Erst muss ich Anna finden.«
»Hier lebt niemand mehr«, sagt Vared. »Wenn du Glück hast, ist sie entkommen.«
»Dann muss ich sie suchen! Dafür brauche ich Licht!«
»Sei kein Narr!« Seine Stimme klingt noch ernster als sonst. »Schau dich um! Wir haben gerade andere Sorgen!«
Ich blicke in den Wald. Überall in der Dunkelheit sind leuchtende, grüne Augen zu erkennen. Sie bewegen sich auf uns zu.
»Was ist das?«, frage ich.
»Wölfe.«
»Was?«, fragt Mira ungläubig. »Oskar hätte nicht gegen ein Rudel Wölfe verloren.«
»Wir haben keine Zeit für Diskussionen.« Vared zieht sein Schwert. »Bring den Jungen hier weg.«
An seinen Füßen entstehen Flammen.
»EINS!«
»Wir müssen hier weg, Noel.«
»Was hat er vor?«
»ZWEI!«
»Er kümmert sich um die Wölfe.«
Vared ist vollständig in Flammen gehüllt. Die Hitze wird unerträglich. Er hält das Schwert mit der Spitze nach unten vor sich fest.
Die Wölfe sind jetzt klar sichtbar. Es sind sehr viele. Kann es sein, dass sie ...
»DREI!«
Mira rennt los und schleift mich mit sich. Mein Arm schmerzt. Sie ist noch schneller als vorhin.
Ich schaue zurück. Vared rammt sein Schwert in den Boden und die Erde bebt. Ein Feuer bricht rasend in alle Richtungen aus und erhellt den Wald. Einige Wölfe jaulen, während ihr Fell in Flammen aufgeht. Sie rollen sich auf dem Boden, um dem Tod zu entgehen. Andere weichen den Feuerwällen aus und haben ihre Beute fast erreicht. Mit geballten Fäusten bereitet sich der Feuerrote auf einen Kampf mit dem Rudel vor.
Plötzlich lässt Mira meine Hand los und ich werde nach vorn geschleudert. Mit einem harten Aufschlag fallen wir beide zu Boden.
»Au! Verdammt! Was ist passiert?«, frage ich und schaue zu ihr hinüber.
Sie starrt auf etwas. Sie starrt so sehr, dass sie meine Frage nicht wahrnimmt.
»Das ... das kann nicht sein!« Tränen fließen über ihre Wangen. Sie weint. Ich schaue mich um. Neben uns ist eine Ansammlung von Wurzeln, die aus der Erde ragen. Sie sind unnatürlich gewachsen. Als ich genauer hinsehe, verstehe ich, was sie erschüttert. Sie sind nicht ohne Grund aus dem Boden gekommen. Sie haben jemanden durchbohrt: einen Mann. Er steht aufrecht und hält eine Hellebarde in der Hand. Ist das ... Oskar?
Mira rennt zu ihm. Sie berührt seinen leblosen Körper mit der offenen Hand.
»Du Vollidiot! Du verdammter Vollidiot!«, flucht sie. »Was fällt dir ein, in diesem beschissenen Wald zu sterben! Warum hast du nicht gewartet!«
Sie sinkt auf ihre Knie. Ihre Atmung ist schnell. Es ist ihr anzusehen, dass sie mit ihrer Trauer kämpft. Sie versucht, sie zu unterdrücken.
Auch ich verliere Tränen. Ich habe gedacht, dass es nicht schlimmer wird. Dass Stellux wieder auf unserer Seite ist. Dass ich Anna finde, und wir endlich das erreichen, nachdem wir uns schon so lange sehnen. Doch jetzt ist sie verschwunden, wenn nicht gar tot. Zerfleischt von einem Rudel Wölfe oder durchbohrt von unnatürlichen Wurzeln. Moment, Wurzeln? Wölfe? Das ist nicht wahr!
»Ein wahrlich hochmütiges Menschlein.« Eine helle Stimme erklingt in den Schatten.
Mira zuckt zusammen und steht schlagartig auf. Sie hat ihre Hand an ihrem Schwertgriff und schaut aufmerksam in den Wald. »Wer ist da? Zeig dich!«
Ich versuche, eine Gestalt zu erkennen, eine Bestätigung zu finden, dass ich mich mit meiner Vermutung irre. Ist es wirklich sie?

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